Wirkmechanismen der Hyperbaren Sauerstofftherapie

Sauerstoff im Gewebe: Allgemeine Wirkmechanismen der HBO

Der grundlegende Effekt der HBO besteht in einer massiv erhöhten physikalischen Lösung von O² im Blutplasma und konsekutiv auch in den Körpergeweben. Während der hämoglobingebundene O²-Transport nur geringfügig zu verbessern ist, kann die physikalisch im Plasma gelöste O²-Menge entsprechend den Gasgesetzen von Boyle-Mariotte, Dalton und Henry proportional zum Umgebungsdruck und dem O²-Anteil im Atemgas gesteigert werden.

Beispiel

Bei O²-Atmung unter 300 kPa wird arteriell ein pO² von über 2000 mmHg erreicht, während unter Normbedingungen (100 kPa, Luftatmung) nur ein p O² von 100 mmHg erreicht wird. Hierdurch wird die mögliche Diffusionsstrecke für O² im Kapillarbereich von normalerweise 64 µm auf 247 µm vergrößert (Krogh-Erlang-Modell). Aus dem o.g. Effekt resultieren die im Folgenden genannten Wirkungen bei verschiedenen Indikationen.

Die HBO hat folgende Wirkmechanismen:

  • Antiödematöse Wirkung durch Vasokonstriktion der Arteriolen
  • Verkleinerung von Gasblasen (bei arterieller Gasembolie oder Dekompressionskrankheit)
  • Bakterizidie auf anaerobe Erreger und Toxin-Inaktivierung (Gasbrand-Infektion)
  • Aktivierung der Fibroblastenprolieferation und Kollagensyntheseförderung
  • Osteoklastenaktivierung und Osteoneogeneseförderung
  • Angioneogenese-Förderung (indirekter Effekt)
  • Aktivierung von Leukozyten und Makrophagen
  • Abdeckung des erhöhten Sauerstoffbedarfs im Rahmen der Wundheilung trotz beeinträchtigter Blutversorgung

Wirkmechanismen in der Wundheilung

Die Heilung von Wunden geht mit komplexen Abläufen einher, an denen zahlreiche Zellsysteme und Mediatoren beteiligt sind (Hunt 1988, Silver 1980). So kommt es nach Kontinuitätsunterbrechung oder Zerstörung von Geweben im Rahmen der Reparatur dieser Defekte zur Kontraktion des Wundbereiches, zur Neubildung von Bindegewebe und schließlich, bei Verletzungen von Oberflächen, zur Epithelialisierung (Hunt 1988, Silver 1980).

Initial kommt es bei einer solchen Traumatisierung mit Integritätsverletzung zu einer Vasokonstriktion der mitbetroffenen Arteriolen und zur Thrombozytenaggregation sowie zur Aktivierung des Hageman-Faktors. Es folgt, neben der Aktivierung der Gerinnungskaskade noch der Ablauf weiterer biochemischer Prozesse, wie Aktivierung des Komplementsystems, des Kininsystems und des fibrinolytischen Systems. Durch diese Enzymketten werden verschiedene Reaktionskaskaden der Wundheilung gestartet (Hunt 1988, Silver 1980). Im weiteren Verlauf dilatieren die Arteriolen, es kommt zur Einwanderung von zunächst neutrophilen Granulozyten in den mit Blutbestandteilen, Zellfragmenten und Detritus angefüllten Wundbereich (Hunt 1988, Silver 1980). Getriggert durch während der Initialphase gebildete chemotaktische Faktoren kommt es zur Einwanderung und Aktivierung von Makrophagen.

Ihre Bedeutung liegt einmal in der Entwicklung von Phagozytoseaktivität, zum anderen in ihrer Funktion als Regulatorzellen für die Proliferation und Differenzierung weiterer, für die Wundheilung wichtiger Zelltypen (Hunt 1988, Silver 1980). Mitverantwortlich ist hierfür der von Makrophagen und Thrombozyten gebildete Wachstumsfaktor PDGF (platelet derived growth factor), sowie weitere Thrombozytenfaktoren (Hunt 1988, Silver 1980).

Fibroblasten wandern in den Wundbereich und beginnen u. unter Einfluß von PDGF mit der Gefäßneueinsprossungen von den Wundrändern in den Wundbereich, was eine Verbesserung der Versorgung des geschädigten Gewebes bewirkt (Hunt 1988, Silver 1980).

Die Gefäßneubildung wird darüber hinaus gefördert von dem aus Thrombozyten und aktivierten Makrophagen freigesetzten FGF (fibroblast growth factor), der zusammen mit anderen angiogenen Polypeptiden die Proliferation und röhrenförmige Anordnung der Endothelzellen in Gang setzt und unterhält (Ketchum et al. 1969).

Zeitgleich mit der Fibroblastenproliferation und der Angioneogenese wandern epidermale Keratinozyten von den Wundrändern her ein, es kommt zum Wundverschluß (Niinikoski 1969, Nylander et al. 1986).

Entscheidend für die beschriebenen Abläufe ist das Milieu in der Umgebung der Wunde. So kann dieser Bereich modellhaft in zwei Kompartimente unterteilt werden, nämlich den eigentlichen Wundraum, der hypoxisch, azidotisch, hypoglykämisch, hyperkapnisch, hyperkaliämisch ist und eine hohe Laktatkonzentration aufweist sowie den gut vaskularisierten, in Folge inflammatorischer Prozesse hyperämisierten Wundbereich, von dem aus die Reparaturvorgänge einsetzen (Hunt 1988, Hunt et al. 1967, Jonsson et al. 1991, Niinikoski 1969, Niinikoski et al. 1991, Silver 1969, Vihersaan et al. 1974).

Diese Unterschiede im lokalen Milieu sind von großer Bedeutung für die Wundheilung, da sowohl Wundhypoxie, als auch hohe Laktatkonzentrationen in der Wunde wesentliche Triggerfaktoren darstellen (Hunt 1988, Sheffield 1985, Silver 1969, Vihersaan et al. 1974). So erfolgt die Migration der oben beschriebenen Zellpopulationen entlang der Konzentrationsgradienten zwischen Wundrand und Wundraum. Auf dem gleichen Prinzip beruht auch die gerichtete Gefäßneuaussprossung (Silver 1969 u. 1980). Messungen des Gradienten der Sauerstoffspannung im Gewebe haben zeigen können, daß am Wundrand ein pO² von 60-90 mmHg herrscht, der jedoch im Bereich der Fibroblastenproliferation auf c 30-80 mmHg abfällt und im Bereich der Makrophagen nahe null ist (Niinikoski et al. 1972, Sheffield 1985). In Wundbereichen mit einem pO² unter 20 mmHg finden sich kaum Zellteilungsvorgänge (Silver 1969 u. 1980). Die maximale Kollagensynthese findet in Bereichen mit mittleren pO²-Werten statt, die um 20-60 mmHg liegen (Hunt & Pal 1979, Hunt et al. 1967, Hutton et al. 1967, Siddiqui et al. 1996). Wichtiger scheint jedoch eine hohe Laktatkonzentration zu sein, denn auch bei Ansteigen des Sauerstoffpartialdrucks bleibt die Laktatkonzentration in der Wunde hoch. Diese gleichmäßig hohen Laktatwerte haben ihre Ursache im Leukozytenstoffwechsel, da Leukozyten auch unter aeroben Bedingungen ihren Energiestoffwechsel per Glykolyse durchführen.

Darüber hinaus scheint Laktat der potenteste Stimulus für die reparativen Vorgänge zu sein, da es auch allein in der Lage ist, die beiden wichtigsten Vorgänge der Wundheilung, nämlich Kollagensynthese und Angioneogenese, zu triggern (Hunt 1988, Hunt & Pal 1979, Hunt et al. 1967, Ketchum et al. 1969).

Ist neben einer hohen Laktatkonzentration auch eine initiale Wundhypoxie als Triggermechanismus von Bedeutung, so ist für den geregelten Ablauf eines Teils der beschriebenen Prozesse jedoch Sauerstoff essentiell nötig (Davis et al. 1988, Hunt et al. 1976, Hunt & Pal 1979, Jonsson et al. 1991, Niinikoski 1969, Niinikoski et al. 1991, Siddiqui et al. 1996, Vihersaan et al. 1974).So benötigen die meisten an der Wundheilung beteiligte Zelltypen ein Mindestmaß an Sauerstoff, um ihren Zellstoffwechsel aufrecht zu erhalten, um proliferieren zu können und um Wachstumsfaktoren und Zytokine freisetzen zu können. Wie bereits erwähnt, finden sich in ausgeprägt hypoxischen Wundbezirken kaum Zellteilungen (Davis et al. 1988, Niinikoski 1969, Vihersaan et al. 1974, Winter & Perrins 1970).

Auch die Kollagensynthese durch Fibroblasten ist sauerstoffabhängig, denn die Aminosäure Prolin im Kollagenmolekül wird sauerstoffabhängig hydroxyliert, ein Syntheseschritt, der als limitierend für die extrazelluläre Kollagenablage angesehen wird (Hunt & Pal 1979, Prockop et al. 1979, Siddiqui et al. 1996). Darüber hinaus ist Sauerstoff wichtig für die Quervernetzung der Kollagenketten untereinander und damit für die Endfestigkeit des Ersatzgewebes, denn der für diesen Syntheseschritt zuständigen Lysin-Hydroxylase dient molekularer Sauerstoff als Substrat (Hunt & Pal 1979, Hutton et al. 1967, Prockop et al. 1979, Stephens & Hunt 1971). Dies wird durch die Beobachtung bestätigt, daß unter systemischen Hypoxiebedingungen die Heilungsrate vermindert ist. Im Gegensatz dazu führt eine adäquate Sauerstoffversorgung zu einer vermehrten Kollagenproduktion, verbesserter Quervernetzung und zu einer erhöhten Syntheserate der an der Wundheilung beteiligten Zellen, die ihren Ausdruck in einem Anstieg des RNA/DNA Quotienten findet. Die Menge Kollagen in einer heilenden Wunde, aber auch die Vernetzungsrate des Kollagens, korreliert also in gewissen physiologischen Bereichen direkt mit dem Gewebe-pO² (Hunt & Pal 1979, Hutton et al. 1967, Prockop et al. 1979, Siddiqui et al. 1996, Stephens & Hunt 1971).

Wie weiter oben bereits beschrieben, geht die Angioneogenese vom gut oxigenierten Wundrand mit niedrigen Laktatwerten aus. Die Gefäßaussprossung erfolgt entlang den Gradienten in Richtung auf das hypoxische, mit hohen Laktatwerten belastete Wundgebiet (Hunt 1988, Niinikoski et al. 1972, Silver 1980). Obwohl einige Angioneogenesefaktoren besonders durch niedrige Sauerstoffspannung getriggert werden, findet die stärkste Antwort auf diesen Proliferationsreiz jedoch in hyperoxischen Venolen des Wundrandes statt (Hunt 1988, Ketchum et al. 1969, Siddiqui et al. 1996, Silver 1980). Der Grund für diesen Umstand ist unklar, es scheint jedoch so zu sein, daß ein hoher pO² die Antwort auf Faktoren, die eine Angioneogenese provozieren, verstärken kann.

Gewebshypoxie, lokale Azidose und Laktatanstieg stehen jedoch nicht nur in unmittelbarem Zusammenhang mit reparativen Vorgängen, sondern stellen auch ideale Bedingungen für die Invasion und Besiedelung des Wundgebietes durch Mikroorganismen dar (Hunt et al. 1976, Keck et al. 1980, Kivisaari & Niinikoski 1975). Wie bereits dargestellt, gehören phagozytierende Leukozyten zur wichtigen ersten Abwehrlinie, wobei die Phagozytosefähigkeit jedoch einen Mindest-pO² im Gewebe erfordert. So verfügen Leukozyten über ein NADPH-gekoppeltes Oxygenase-Enzym, welches durch Phagozytose aktiviert wird. Dieses Enzym ist ein Glied in der Produktion einer Reihe von bakteriziden Oxidantien und Sauerstoffradikalen, die zur Infektabwehr beitragen. Eine lokale Hypoxie kann somit die Leukozytenaktivität beeinträchtigen und die Infektanfälligkeit erhöhen (Allen et al. 1997, Mandell 1974). Mader et al. zeigten, daß HBO die Phagozytoseleistung von aus infiziertem Knochen kultivierten Leukozyten steigert. Dabei wurde die Phagozytoseleistung bei Werten gemessen, die tatsächlich während der HBO im Knochengewebe erreicht wurden (Mader et al. 1980). Knighton et al. zeigten, daß eine Hyperoxie von 45 Vol.% (Umgebungsdruck 100 kPa) mindestens den gleichen infektionsprophylaktischen Effekt zeigt wie eine Antibiotikagabe. Beide Maßnahmen verstärken sich additiv (Knighton et al. 1986). Mader et al. demonstrierten in einem Osteitismodell, daß HBO einen dem Cephalotin vergleichbaren infektionsprophylaktischen Effekt besitzt (Mader et al. 1978).

Die antiödematöse HBO-Wirkung konnte in verschiedenen Tiermodellen sowohl postischämisch im Tourniquet-Modell als auch im Rahmen induzierter Kompartmentsyndrome nachgewiesen werden (Nylander et al. 1985, Skyhar et al. 1986, Strauss et al. 1983).

Kommt es zu einer Beeinträchtigung oder Störung der Wundheilung, liegt die Ursache häufig entweder in regionalen Störungen oder in einer systemischen Erkrankung. Gemeinsam ist ihnen die Störung des komplexen Zusammenspiels der beschriebenen Heilungsabläufe. Im Vordergrund stehen hier besonders solche Erkrankungen, die mit einer (zumindest regionalen) Minderperfusion einhergehen. So ergibt sich das Paradoxon, daß Hypoxie sowohl Trigger, als auch Unterdrücker einer geordneten Wundheilung sein kann. Eine persistierende Hypoxie kann aus dargelegten Gründen eine Reparation signifikant beeinträchtigen (Davis et al. 1988, Jonsson et al. 1991, Kivisaari & Niinikoski 1975, Siddiqui et al. 1996).Für viele der aufgelisteten Vorgänge konnte im Experiment ein bestimmter Sauerstoffpartialdruck ermittelt werden, bei dem der jeweilige Vorgang optimal abläuft, bzw. wo durch unterschreiten eines mindest notwendigen Partialdrucks die Vorgänge zum Erliegen kamen (Hunt et al. 1967, Niinikoski et al. 1991, Sheffield 1985, Vihersaan et al. 1974). Außerdem ist experimentell nachgewiesen, daß Problemwunden häufig hypoxisch und die Infektionsraten in hypoxischen Wunden signifikant höher sind (Allen et al. 1997, Hunt et al. 1976). Es muß also das Ziel sein, solche Wundhypoxien zu vermindern, auch dort, wo die Perfusion z.B. aufgrund der Grunderkrankung beeinträchtigt ist (Jonsson et al. 1991, Niinikoski 1969, Vihersaan et al. 1974).